22. September 2012

Nostalgie

Nostalgie? Bin ich ein Riesenfan von! Ich beeile mich allerdings, umgehend zu ergänzen, dass ich natürlich kein Riesenfan der „früher war alles besser“-Nostalgie bin, sondern Riesenfan einer modernen, cleanen Version der Nostalgie. Vertreterinnen, Anhängerinnen und Verfechterinnen dieses neuen, reduzierten Nostalgiekonzepts wissen natürlich allzu gut, dass früher alles genauso gut/schlecht war wie heute bzw. tendenziell heute das meiste eher besser ist, als es früher war, in der Rückschau aber durchaus der Eindruck entstehen kann, früher sei das eine oder andere vielleicht ein klein wenig besser gewesen, dass dieser Eindruck jedoch unter Umständen täuscht.


Als gemäßigte Nostalgiefanatikerin liebe ich es natürlich, durch alte Magazine zu blättern, alte Werbeanzeigen zu studieren und mich von meiner Phantasie auf einen Parforceritt durch Nachkriegsdeutschland oder sonst wohin mitnehmen zu lassen.

Kupon - ob das jemals dudenkonform war?


Manchmal kriege ich dann total die Lust, einmal einen dieser alten Coupons, mit denen man Kataloge oder ähnliches anfordern kann, auszufüllen und zu verschicken. Ich male mir aus, wie sich die Postmitarbeiter dann den Coupon mit der alten Postleitzahl herumreichen und sich gegenseitig versichern, was das für eine schöne Zeit war  – damals, als es noch die alten vierstelligen Postleitzahlen gab. Ein großes Hallo stelle ich mir da vor.


Honestly, wtf? Wo soll ich denn hier meine Anschrift reinschreiben?


1993, als das fünfstellige Postleitzahlensystem eingeführt wurde („Fünf ist Trümpf“), habe ich übrigens bei der Post gejobbt. Ich weiß also, wovon ich rede. Eine krasse Nostalgiewelle hat die Umstellung vom vier- auf das fünfstellige Postleitzahlensystem seinerzeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verursacht, denn alle spürten die historische Tragweite dieser Zäsur. Nichts würde mehr so sein, wie es früher einmal war!


Sogar wir von der Tübinger Post wurden von dieser Nostalgienummer ergriffen, obwohl es bei uns überhaupt keine richtigen Postlerinnen und Postler gab. Die Tübinger Post war fest in studentischen Händen! Auch die leitenden Angestellten waren Studenten oder besser ehemalige Studenten, die den Absprung nicht geschafft hatten und bei der Post hängengeblieben waren. Deswegen sind wir beim Betriebsausflug auch nicht Bowlen oder Kegeln gegangen, sondern haben uns beispielsweise einen Rokoko-Bibliothekssaal angeschaut oder ein Prämonstratenserkloster besichtigt. Das war vielleicht schön!


Einige der Kollegen befanden sich in der letzten Phase ihrer Doktorarbeit, worauf selbstverständlich Rücksicht genommen wurde. Die Doktoranden wurden mit Glacéhandschuhen angefasst und mussten zum Beispiel niemals den Siebner machen. Der Siebner – also der Postleitzahlenbereich Sieben – war die absolute Königsklasse in punkto Briefe sortieren. Erste Liga und erste Sahne zugleich. Man musste unglaublich schnell und wendig sein und sich ganz viel merken können. Geographiekenntnisse haben nicht geschadet, sondern genützt. Mann, war ich vielleicht aufgeregt, als ich zum ersten Mal den Siebnerdienst hatte. Aber ich habe es gemeistert! Einmal habe ich sogar geträumt, mein Magisterzeugnis werde mir von der Post überreicht. Und es gab die irrsten Zulagen für jeden Quatsch. Zum Beispiel Sohlengeld, wenn man diesen Dienst hatte, bei dem man in einer sehr komplizierten Choreographie durch die Gegend rennen und die Fächer der anderen Briefsortierer leeren musste. Sohlengeld fünf Mark stand dann auf dem Lohnzettel. Ja, liebe Kinder, so war das damals. Eine schöne Zeit! Aber heutzutage ist es auch super!

Ob es dieses Feinschmeckerstudio wohl noch gibt? Großes Rätselraten meinerseits.


Nicht nur das Sohlen-, sondern das komplette Geld habe ich übrigens in Klamotten investiert. Damals Klamotten, aus heutiger Sicht 90er-Jahre-Klamotten. Siehe unten. Natürlich habe ich das Notizbuch aufgehoben, in dem ich vermerkt habe, welche Anziehsachen ich gern hätte. Für Euch zur Info: Pinterest gab es damals nicht. Man hat Modezeitschriften gelesen und was man gut fand, hat man rausgerissen und in ein sogenanntes Heft geklebt. So war das damals!





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6 Kommentare:

Blogger Constanze

Ich bekomme gerade einen Nostalgieflash! Ich wollte immer diesen Coupon für den Fliesenaufkleber einsenden und durfte nicht. Und das Wort "Anziehsachen" verwende ich ab jetzt auch wieder.

22. September 2012 um 21:43  
Anonymous moseron

"Ausschneiden" aus Zeitschriften. Beinahe hätte ich auch das vergessen. Aber gerade letzte Woche habe ich ganz klein wieder angefangen und meine Lieblingsfotos und Anzeigen aus der Vogue "ausgerissen". Ich grüble noch, ob sie an eine Pinnwand kommen sollen, die extra angeschafft werden müsste, oder in einen Ordner.
Toller Text!

23. September 2012 um 12:24  
Blogger ROSINE

Moseron - definitiv ein Ordner. Der hält länger, vielleicht sogar Jahre, und dann kann man einmal schön zurückblättern und sich wundern, was man mal hübsch fand.

26. September 2012 um 18:46  
Anonymous Kostarowa

Genial.

26. September 2012 um 20:17  
Blogger blica

himmel, warum habe ich dein blog erst jetzt entdeckt? ich bin ab jetzt dein fan;-)

28. September 2012 um 09:39  
Blogger ROSINE

@blica - Das trifft sich gut, ich bin nämlich schon lang ein Fan Deines Blogs ;)

29. September 2012 um 16:21  

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