23. Mai 2011

Wilhelmine

Eine Sache, die mich immer sehr stresst, ist Leute in anderen als den üblichen Kontexten zu treffen, also zum Beispiel berufliche Kontakte privat und vice versa oder wie auch immer. Ihr wisst, was ich meine. Wenn man sich nicht gut genug kennt, um sich angenehm zu unterhalten und nicht weiß, was man sagen soll bzw. denkt, man müsse im Vorbeigehen was Lustiges/Witziges sagen und dann doch nur irgendetwas Bescheuertes stammelt, ah, furchtbar, furchtbar, furchtbar. Und hinterher ist auch noch der ganze Tag versaut, weil man ständig denkt, was man eigentlich für einen Granatenmist geredet hat, wie man nur so einen Quatsch reden kann und was für ein Trottel man ist und was man mal wieder für einen Müll geredet hat. Ich weiß nicht, hinter wie vielen Regalen, Bauzäunen und Büschen ich mich schon versteckt habe, um dieser Situation zu entgehen. Ganze Straßenzüge sind für mich forbidden area - zu groß die Gefahr, jemanden zu treffen, der einen in o.g. ungute Situation bringt! Einmal habe ich unten in der Lebensmittelabteilung bei Karstadt am Hermannplatz meinen Bruder getroffen. Selbst da hatte ich kurzfristig den Impuls, hinter einem Regal zu verharren, bis die Gefahr vorüber ist. Völlig unagebracht - schließlich pflege ich mit meinen Geschwistern ein sehr inniges Verhältnis. Letzten Samstag habe ich in einem Kleidergeschäft meine entfernte Kollegin Wilhelmine getroffen. Ich habe sie sofort an ihrer Stimme erkannt, sie war mit ihrer Mutter da und ich saß in der Umkleidekabine und dachte mir, Mist, was jetzt? Nomalerweise hätte ich jetzt abgewartet, vielleicht ein bisschen Zeitung gelesen und wenn die Luft rein gewesen wäre, wäre ich gegangen. Aber eigentlich war ich schon längst fertig mit anprobieren! Und außerdem wollte ich nicht ins Visier des Ladendetektivs geraten, weil ich stundenlang in der Umkleidekabine bleibe! Ich leide nämlich unter der Angst, zu Unrecht des Ladendiebstahls bezichtigt zu werden. Wenn ich beispielsweise in einem Laden mal schneuzen muss, traue ich mich immer nicht, das Taschentuch in meine Hosentasche zu stopfen, denn es könnte ja der Eindruck entstehen, ich würde etwas stehlen usw. Lippenstifte und anderer Kleinigkeiten, die man leicht in der Tasche verschwinden lassen könnte, stelle ich immer ganz übertrieben deutlich ins Regal zurück, mit spitzen Fingern, damit man nachher auf den Überwachungslkameras eindeutig erkennen kann, dass ich nichts gestohlen habe. Ich verhalte mich oftmals so komisch in Geschäften, dass ich mich ehrlich gesagt wundere, dass ich bisher noch keine Verdachtsmomente erregt habe - aber egal. Ich war also längst fertig mit anbrobieren und weil man auch mal an sich arbeiten muss, habe ich mir die zu kaufende rote Hose (color blocking) über die Schulter geworfen, nahm allen Mut zusammen, ging hinaus, und da stand sie und ich so "Hallo, Wilhelmine!" und sie so "Ach, hallo, Rosine!" und das wars auch schon. Situation mit Bravour gemeistert. Halb so schlimm gewesen.

******