24. September 2009

Bericht aus Graz


Als eingefleischter Österreich-Freak spiele ich selbstverständlich regelmäßig "Kennst Du Österreich?", das berühmte und beliebte Gesellschaftsspiel für Groß und Klein, für Jung und Alt.


Der Weg von Wien nach Graz ist mir also bekannt, und was ich spielerisch gelernt habe, wird nun in die Tat umgesetzt: Am Südbahnhof steige ich in einen Zug nach Graz und über Leobersdorf und Wiener Neustadt geht es zum Semmering hinauf.


Während der Fahrt eigne ich mir mithilfe der uralten Kulturtechnik "aus dem Fenster Hinausschauen" die Umgebung an. Wie jedes Kind weiß, soll Metternich einmal gesagt haben, der Balkan beginne in Wien, gleich hinter dem Rennweg. Dem möchte ich hinzufügen: Die Steiermark beginnt am Semmering, gleich hinter Niederösterreich. Weiter geht es also über Mürzzuschlag* (fehlt auf dem Spielbrett - einzeichnen nicht vergessen!) und Bruck an der Mur nach Graz. Der Aufenthalt in Graz steht ganz im Zeichen von Äpfeln, Kürbissen, Kürbiskernöl, Wettbüros, Spielhallen und Bordellen. Angeblich hat die ÖVP in Graz einmal plakatiert, in Graz gebe es, Skandal, mehr Wettbüros als Kindergärten. Vielleicht kann die SPÖ die ÖVP übertrumpfen, indem sie plakatiert, dass es in Graz mehr Bordelle als Wettbüros gibt? Apropos geben. In Graz gibt es auch sehr schöne Wursteinpackpapiere. Eines hab ich in einem Rinnstein in Lend, dem 4. Arrondissement von Graz, gefunden:


Ansonsten sieht Graz ungefähr ganz genau so aus wie auf meinem Spielbrett. Das hat der Illustrator/die Illustratorin schon korrekt umgesetzt:


*Etwas Lustiges am Rande: Vor noch nicht allzu langer Zeit hieß in Österreich ein Kurzzug Einfachgarnitur. Das Lustige daran: Ich habe manchmal Einfachgarnitur und Mürzzuschlag verwechselt, was war nochmal der Kurzzug, was die Stadt? Komisches Oberstübchen habe ich da.

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4 Kommentare:

Anonymous Anonym

"Bravo!" (eigtl.: "Brava!"), möchte man ausrufen. Ein anschaulicher, ja plastischer Reisebericht aus der sonnigen St. Eiermark, Respekt! Und jeglichen Klischeefallen (Kernöl!) gewandt ausgewichen. Gut dem Dinge.

Wenn ich mir erlaubenn darf, zwei weitgehend bedeutungsfreie Faktoide anzufügen, mehr der Vollständigkeit halber:

Die Anzahl höchst ansehnlicher Weibspersonen in Graz ist VIEL höher als im sechs mal so großen Wien. Das fällt beim Müßiggang durch die Innenstadt sofort ins Auge. Also mir jedenfalls.

Und die Tochter eines prominenten radikalkatholischen Kaffeefabrikanten in Graz hat mir gegenüber relativ glaubwürdig behauptet, dass es in dieser Stadt nicht statthaft sei, Dachbodenausbauten mit Fenstern zu gestalten, von denen man aus den Schloßberg erblicken kann. Des Denkmalschutzes wegen. Weil man sonst vom Schloßberg aus auf ein Meer von neumodischen häßlichen Dachfenstern sähe. Listig.

Achtung: Völlig ungeprüfte Behauptung!

Im übrigen: "Einfachgarnitur" und "Mürzzuschlag" zu verwechseln, ist ohne Zweifel das Zeichen eines großen Geistes. Genial beinahe. Empfehle zur Vertiefung die Lektüre von Herzmanovsky-Orlando, "Maskenspiel der Genien". ("Die Lokomotive, einem flachen Sparherd nicht unähnlich, ein Typ, der an der Oberwelt nicht mehr gerne gezeigt wurde." Frei aus dem Gedächtnis.)

Hochachtungsvoll,

Geezer
(unweit Wiens)

30. September 2009 um 08:57  
Blogger ROSINE

Vom Grazer Dächerstreit (nicht zu verwechseln mit dem Dächerstreit in Berlin-Zehlendorf) haben mir meine Gastgeber auch berichtet, ferner habe ich mich wieder an den Grazer Schriftsteller Werner Schwab erinnert, mit dem ich bereits während des Studiums zu tun hatte, und nicht zuletzt durfte ich Bekanntschaft mit dem Oeuvre der tollen Musikerin Gustav machen. Alles in allem ein sehr ertragreicher Aufenthalt also.

18. Oktober 2009 um 17:22  
Anonymous Anonym

Liebe ROSINE,

ein schöner Bericht mit ebensoschönen Ergänzungen! Obschon ich befürchte, dass es grob gegen die Etikette verstoßen könnte, die Gastgeberin bei einer ersten und uneingeladenen Wortmeldung auf einen Fehler hinzuweisen, muss ich dich doch korrigieren: Es war die nicht die ÖVP, die auf Ihren Plakaten über das Verhältnis der Anzahl von Kindergärten und Wettcafes informierte, sondern die KPÖ (die bei den Grazer Gemeinderatswahlen im Jahr 2003 mit gut 20% der Stimmen sogar die drittstärkste Partei werden konnte).

Man kann im übrigen zurecht infrage stellen, dass es stimmig ist, Kindergärten und Wettlokale gegeneinander auszuspielen. Ich erinnere mich, einmal von einem Wettcafe in der Obersteiermark gelesen zu haben, welches eine Kinderecke eingerichtet hatte, und somit gewissermaßen einen aktiven Beitrag zur Behebung der Engpässe in der Kinderbetreuung leistete. Die Fantasielosigkeit der Kinder- und Jugendschutzgesetzgebung gestattet so etwas freilich überhaupt nicht, so dass diese verblüffende Privatinitiative im besten Geiste von Corporate Social Responsibility dann wohl doch nicht als realistisches Lösungsmodell zu betrachten ist. Allerdings: Wären Wettcafes als Orte der Kinderbetreuung anerkannt, so hätte dies möglicherweise unmittelbare Auswirkungen auf das weitere in deinem Bericht angesprochene und tatsächlich (zumindest rechtsseitig der Mur geballt angesiedelte) Problemgewerbe. Denn viele Bordelle müsste sich nun nach neuen Standorten umsehen, dürfen diese doch nicht in Sichtweite von Kindergärten, Schulen (und Kirchen) liegen. Und angesichts der hohen Dichte an Wettcafes (und Kirchen) wiederum sähen sich die Bordellbetreiber hinsichtlich der Wahl eines neuen Standorts mit einer kaum lösbaren Aufgabe konfrontiert.

Beste Grüße!

DJ Herbstbert

19. März 2010 um 17:11  
Blogger ROSINE

Lieber DJ Herbstbert, aber nein, es verstößt kein bisschen gegen die Etikette, mich zu korrigieren! Wo kämen wir denn da hin! Außerdem bin ich durch das Stahlbad des jüngstes-Geschwister-Seins gegangen, Kritik, Korrektur und Belehrung gehört demnach schon immer zu meinem täglich Brot und wird von mir geradezu freudig angenommen. Umso besser, wenn dies von einem echten Österreicher (I guess?) kommt!

20. März 2010 um 16:39  

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